Grassl-Geschäftsführer Martin und Florian Beierl (v.l.n.r)
Je schnelllebiger und digitaler unsere Zeit wird, umso mehr schätzen wir Produkte, die natürlich, real und in Ruhe gereift sind. Zeichnen sie sich dann noch durch Tradition und regionale Verwurzelung aus, kann man sie getrost als „Wertstücke“ bezeichnen. Die Enzianbrennerei Grassl, etwa zwei Autostunden vom Starnberger See entfernt, ist ein wunderbares Beispiel für gelebtes Genusshandwerk mit Zeitgeist. Von Geschäftsführer Florian Beierl wollten wir mehr wissen über die gewachsene Genusskunst.
Starnberger Seeleben: Enzian, Grassl und das Berchtesgadener Land sind so untrennbar miteinander verwoben, dass Ihre Brände ja nicht nur Genuss- sondern auch Kulturgut sind- sind Sie demnach Kulturbotschafter?
Florian Beierl: Ja, diese Rolle nehmen wir durchaus wahr und wir leben sie auch in unserem Unternehmen. In einer so bekannten Tourismusregion kommt und geht vieles wieder, viele der Hotelpioniere aus dem 19. Jahrhundert und ihre Betriebe gibt es heute schon gar nicht mehr. Was aber bleibt, ist die Landschaft, die Kultur und das Brauchtum – und glücklicherweise auch seit über 300 Jahren unsere Brennerei. Die musste sich schon über fünf Staatsformen hinweg behaupten und gerade erst haben wir unsere alten Sonderrechte bei der Bundeszollverwaltung wieder gegen EU-Beschränkungen durchgesetzt. Wer ein solches Traditionsgewerbe betreibt und verantwortet, muss wachsam bleiben und sich alle paar Jahrzehnte auf existentielle Herausforderungen vorbereiten.
Starnberger Seeleben: Wie tief sind Sie selbst mit Ihren Produkten verwurzelt - haben Sie mal Enzian gehackt?
Florian Beierl: Mein Vater wurde bereits in den 1960er Jahren Miteigentümer der Firma Grassl und hat später die Mehrheitsanteile erworben. In den 1970er Jahren waren mein Bruder Martin und ich oft mit im Gebirge bei den Wurzelgrabern dabei, auch bei den sogenannten „Enzianbauern“ in der Hallertau und in Niederbayern, die für uns Enzianpflanzen anbauen. Der Geruch von frischen Enzianwurzeln, vor allem aber die klebrigen Hände vom vielen Fruchtzucker und der Bitterstoff, der einem noch am nächsten Tag im Mund liegt, sind mir in bester Erinnerung geblieben. Manchmal durften wir sogar mit Schulfreunden in Brennhütten übernachten, das war für uns als Kinder ein großes Abenteuer. Heute haben wir leider nur noch selten Gelegenheit, die Bergbrenner und die Wurzelgraber zu besuchen.
Auch heute werden die Enzianwurzeln noch per Hand gehackt. | „Genuss-Gewächs": Violetter Enzian im Berchtesgadener Land
Starnberger Seeleben: Das Grassl-Sortiment hat eine beeindruckende Bandbreite; von den sehr lange gelagerten Enzianschätzen bis zu den Alpenlikören mit Almmilch. Wie entstehen neue Produkte? Stehen Trends oder Inspirationen im Vordergrund, wer zündet die Ideen?
Florian Beierl: In der Brennerei-Branche ist das Mitbewerberumfeld spätestens seit dem Gin-Boom stark verändert, man muss sich inzwischen sehr breit im Wettbewerb aufstellen. Die Ideen für neue Produkte suchen wir uns am Markt, die besten Ideen haben aber unsere Mitarbeiter und Partnerbetriebe in der Region mit uns entwickelt. Der 1517 Miner’s Gin zum Beispiel war eine Idee des Salzbergwerks Berchtesgaden zum 500-jährigen Jubiläum und unser wirklich erfolgreiches Milchlikör-Produkt „Bergbauer“ ist auf der persönlichen Idee des Geschäftsführers der Milchwerke Berchtesgadener Land, Bernhard Pointner, und der Tourismusregion gewachsen. In unserem hauseigenen Labor arbeiten zurzeit drei Generationen versierter Destillateure an vielen neuen Kreationen, der jüngste ist 20, der Altmeister 70 Jahre alt. Der persönliche Wissenstransfer ist wichtig, weil unsere alten Rezepte noch heute streng gehütet werden.
Starnberger Seeleben: Sie und Ihr Bruder haben beide spannende Berufswege in sehr interessanten, völlig verschiedenen Themenwelten. Mittlerweile sind Sie beide seit etlichen Jahren wieder im Familienunternehmen. Wie war das anfangs für Sie, welche besonders markanten Meilensteine oder Erlebnisse haben Sie beeindruckt?
Florian Beierl: Als unser Vater älter wurde und leider auch rapide abbaute, galt es für uns, das Unternehmen in die Zukunft zu führen. Der Übergang war sehr holprig, weil die Nachfolgeregelung lückenhaft war und wir vieles neu aufstellen mussten. Zum Glück hatte die Firma damals einen fähigen Geschäftsführer, der aber in den Ruhestand ging, dann aber noch zwei Jahre verlängerte und uns in den Geschäftsbetrieb einführte. Im Endeffekt haben wir die ganze Firma dann relativ zügig übernommen und umgekrempelt. Wir haben uns gute Fachleute ins Team geholt, ein neues Betriebsgebäude gebaut und das alles ist bei den Kunden sofort gut angekommen. Zehn Jahre später ist die Firma jetzt doppelt so groß wie bei der Übernahme. Wir haben aber nie den Fehler gemacht, die Grassl-Traditionsschiene zu verlassen.
Kenner-Prüfung: Verkostung im Felsenkeller unterm Berg | Echte Genuss-Klassiker aus der Grassl Enzianbrennerei
Starnberger Seeleben: Ihr Slogan ist von zeitlosem Wert, jeder Genießer weiß, dass Zeit eine essenzielle Rolle spielt, sowohl in Bezug auf Produkt-Reife wie auf die Ruhe beim Konsumieren. Auf wen geht der Grassl-Slogan „Zeit lassen“, dem ja sogar das Oxn-Aug’n trio mit Hubert Ilsanker ein eigenes Lied gewidmet hat, ursprünglich zurück?
Florian Beierl: In unserem Firmenarchiv taucht das Motto „Zeit lassen…“ Ende der 1950er Jahre erstmals auf, wahrscheinlich hat ihn der Berchtesgadener Grafik-Illustrator und Werbefachmann Walter Köhler damals entwickelt. Ich glaube, eines ist dabei klar: „Zeit lassen…“ ist zeitlos und je hektischer und angespannter die Welt um uns herum wird, desto mehr Sehnsucht haben die Menschen nach einem solchen Motto. Und wenn sie dabei auch noch einen guten Schnaps genießen können, dann haben wir eine schöne Brücke zwischen Genuss und innerer Ruhe geschaffen.
Starnberger Seeleben: Bergbrenner ist im Grunde mehr als ein Beruf, eher eine Lebensweise. Bei all dem, was an Aufgaben und Anforderungen, das Leben und Wandern auf den Hütten, zusammenkommt: Gibt es Nachwuchsprobleme?
Florian Beierl: Zum Glück nicht. Als Hubert Ilsanker nach 27 Jahren wieder zu seinem ursprünglichen Beruf als Zimmerer zurückgekehrt ist, konnten wir die Stelle nahtlos mit einem jungen einheimischen Destillateur besetzten. Der ist inzwischen Betriebsleiter bei uns und ein weiterer junger Einheimischer, Max Irlinger, hat die Stelle am Berg dann übernommen. Ich glaube, es ist ein wirklicher Sehnsuchts-Job, Nachwuchssorgen haben wir daher glücklicherweise nicht.
Starnberger Seeleben: Last but not least: Die erste Dekade liegt hinter Ihnen, was wünschen Sie sich für die Nächste?
Florian Beierl: Ich wünsche mir vor Allem, dass unser tolles Team mit seinen Stärken und Innovationen zusammenbleibt und wir noch viele Projekte anstoßen können. Wir wollen den Brennerei-Standort in Zukunft neu bauen und dabei ein besseres touristisches Angebot mit Brennerei-Museum schaffen. Ebenso bauen wir im Ortszentrum von Berchtesgaden eine neue Grassl-Hauptfiliale, dabei hoffe ich auf gutes und zeitnahes Gelingen. Wir wollen im Umfeld großer Spirituosenkonzerne als mittlerer bayerischer Traditionshersteller und älteste Bergbrennerei Deutschlands stabil bestehen. Persönlich wünsche ich mir, dass die Überregulierung in allen Bereichen, die einen als Geschäftsmann betreffen, massiv zurückgefahren werden, weil es im Endeffekt auch noch Freude und nicht nur Sorgen bereiten soll, unternehmerischen Mut und Engagement für eine Traditionsmarke zu zeigen.
Die Basis guten Geschmacks: Handarbeit nach alter Tradition
Grassl: Genuss-Handwerk auf dem Boden natürlicher Nachhaltigkeit
Seit der Berchtesgadener Fürstpropst 1692 den Grassls das Recht erteilte, Enzianwurzeln auszugraben und Wacholderbeeren zu sammeln, betreibt man bei Grassl das traditionelle Handwerk des Enzian-, Meisterwurz- und Wacholderbrennens. Weil sich der Transport der Rohstoffe schwierig gestaltete, wurden mitten im Gebirge Brennereien errichtet, auf denen bis heute die feinsten Destillate hergestellt werden. In Felsenkellern tief unter Berchtesgaden reifen besondere Destillate teilweise bis zu sieben Jahren. Das Erntegebiet liegt in Steilhängen und Almflächen über 1.000 Meter. Hier ernten die Wurzelgraber die Wurzeln des gelben und violetten Enzians noch wie vor Jahrhunderten mit Spezialhauen von Hand. Nur im mehrjährigen Abstand wird am gleichen Fleck gegraben, damit sich die Pflanzen regenerieren können. Unter Leitung der Brüder Florian und Martin Beierl ist die Enzianbrennerei wieder in Familienhand und hat längst internationales Renommé erreicht.
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