„Wir müssen das Wir-Gefühl in unserer Gesellschaft wieder zum Wachsen bringen.“

Persönliche und direkte Fragen an die Landtagsabgeordnete Ute Eiling-Hütig

Wer über zehn Jahre Mitglied im bayerischen Landtag ist und sich mindestens ebenso lang in zahlreichen Ehrenämtern im Landkreis engagiert, weiß, wo Politik und Realität im Clinch liegen oder harmonieren. Darum wollten wir Ute Eiling-Hütig gerne mal das eine oder andere fragen …

Starnberger Seeleben: Trotz des Pensums Ihrer politischen Aufgaben engagieren Sie sich bei zahlreichen ehrenamtlichen Organisationen und suchen den direkten Bürgerkontakt. Wie wichtig ist das direkte Gespräch und was nehmen Sie daraus mit? 

Ute Eiling-Hütig: Das Gespräch ist die Voraussetzung für fast alles. Die wichtigste Grundlage besteht darin, den Menschen zuzuhören, die Themen und Probleme aufzunehmen, die im realen Alltag relevant sind. Deswegen bin ich auch im Gemeinderat und Kreistag – hier sehe ich direkt, welche Entscheidungen in der Politik wie ankommen, und ob sie tatsächlich so umsetzbar sind.

Starnberger Seeleben: Eine digitale Dialogform haben Sie im letzten Jahr mit einem Fotowettbewerb initiiert, bei dem Sie BürgerInnen eingeladen haben, ihr Anliegen zu Ihrem zu machen. 

Ute Eiling-Hütig: Die Idee wurde von jungen Leuten angestoßen. Anders als ich, sind sie Digital Natives, für die digitale Kommunikation selbstverständlich ist. Ich habe das sehr gerne aufgegriffen, weil ich es für äußerst wichtig halte, über den eigenen Tellerrand hinauszusehen. Wie aktiv es dann angenommen wurde und welche guten Möglichkeiten es uns gegeben hat, die eingereichten Fragen und Bilder zu beantworten, hat mich sehr gefreut. Wir haben den Dialog dann mit redaktionellen Videos erweitert, für die wir jeweils Themenexperten mit vor die Kamera geholt haben. 

Starnberger Seeleben: Was waren die Learnings daraus und sind weitere digitale Dialoge angedacht?

Ute Eiling-Hütig: Die Bandbreite war spannend und interessant. Von Themen direkt vor der Haustür bis zur Zukunftspolitik von Bund und Land. Von der Katzenschutzverordnung bis zur Energiewende. Es bestätigt, dass BürgerInnen durchaus engagiert sind und gefragt und gehört werden wollen. Als Politikverantwortliche müssen wir uns fragen, wie und wo wir Menschen erreichen. Digitaler Dialog gehört dazu, darum: ja, eine Fortsetzung, vielleicht in etwas anderer Form als der letzte Fotowettbewerb, ist geplant. 

Starnberger Seeleben: Apropos Digitalisierung, eines Ihrer politischen Hauptthemenfelder ist die Bildung. Statistisch liegt Bayern in der Digitalisierung an Schulen auf Platz eins, in der Realität scheint diese aber in vielen Klassenzimmern noch nicht angekommen zu sein, bzw. die SchülerInnen darin längst weiter zu sein als ihre Lehrkräfte. 

Ute Eiling-Hütig: Die Statistik gibt tatsächlich nur einen Teil wieder. 
Bezogen auf die technische Ausstattung haben wir viel erreicht, aber im zweiten Schritt brauchen wir gescheite Lernsoftware und die Lehrkräfte müssen entsprechend geschult werden. In diesen Bereichen ist manches noch holprig. 

Starnberger Seeleben: Bleiben wir bei der Bildung. Ihr Arbeitskreis zu diesem Thema hat u.a. die Stärkung der Basiskompetenzen im Grundschulbereich definiert. Wie kann der Schule das angesichts der digitalen Aufmerksamkeitsdiebe - Youtube, soziale Medien etc. - gelingen? 

Ute Eiling-Hütig: So wünschenswert und wichtig digitale Ausstattung und Know how sind, so wenig sind sie der alleinige Weg zu guter Bildung. Um Aufgaben verstehen und lösen zu können, muss man in der Lage sein, konzentriert lesen zu können. Genauso wichtig ist es, klar leserlich per Hand schreiben zu können. Und Innovation, die wir alle für die Zukunft in Gesellschaft und Wirtschaft brauchen, kommt nicht von allein - sie setzt Kreativität voraus, für die in der Schule Raum sein muss. Lehrkräfte in Dänemark lassen ihre Schüler und Schülerinnen handyfrei arbeiten, was von diesen oft sogar als befreiend empfunden wird. Weil sie in dieser Zeit alle gemeinsam „vom Handy frei haben“. In Schweden wiederum geht man zur Vermittlung von Grundfertigkeiten vom digitalen Klassenzimmer wieder zu Buch, Papier und Stift über.

Starnberger Seeleben: Stichwort Grundfertigkeiten:  laut WHO hat sich die Anzahl adipöser Kinder und Jugendlicher (zwischen 5 und 19 Jahren) seit 1990 vervierfacht. Wäre es nicht sinnvoll, Lerninhalte näher an die heutige Lebenswirklichkeit anzupassen und Themen wie Ernährung stärker einzubeziehen? 

Ute Eiling-Hütig: Das findet ja bereits statt, im HSU-Unterricht und später an den weiterführenden Schulen. Wo es aber vor allem stattfinden muss, ist im jeweiligen Elternhaus. Ernährung, Bewegung, Medienkonsum, das alles sind Themen, die zuhause gesetzt und gelebt werden. Hier sind die Eltern gefragt. 

Starnberger Seeleben: Wenn man mit Lehrkräften spricht, sagen diese, dass die Zunahme an Bürokratie zu Lasten Ihrer eigentlichen Kernaufgaben führt. Das scheint sich mittlerweile wie ein roter Faden durch alle Bereiche zu ziehen - ob Schule, Gesundheitswesen, Pflege. Wie erleben Sie das?

Ute Eiling-Hütig: Dem stimme ich zu. Ob in Pflegediensten oder Schulen: 
der Zeitaufwand für Dokumentationspflichten nimmt zu. Wir müssen die Bürokratisierung entmüllen und Vorschriften vereinfachen. Ein Mehr an Regeln und Gesetzen bringt uns nicht weiter, sondern das Anwenden der bestehenden. 

Starnberger Seeleben: Sehen Sie im „Bürokratiewachstum“ ein deutsches Phänomen?

Ute Eiling-Hütig: Ich denke schon, dass das bei uns besonders ausgeprägt ist und auf die Haftungsmentalität in unserer Gesellschaft zurückzuführen ist. Die Angst, wegen irgendetwas verklagt zu werden, ist groß. Also versucht man, sich gegen jede Eventualität abzusichern und das führt zu ellenlagen juristischen Passagen. Die Datenschutzgrundverordnung ist dafür ein Beispiel.

Starnberger Seeleben: Ihr breit gestreutes ehrenamtliches Engagement reicht generationenmäßig von Kinderschutzbund bis Altenheim. Wo liegen in diesen beiden Bereichen die größten Herausforderungen? 

Ute Eiling-Hütig: Beide Bereiche brauchen engagierte Menschen. Mich erschrickt, dass heute sehr oft das Ich vor dem Wir steht. Da sehe ich eine große Herausforderung: dass wir alle wieder aufmerksamer füreinander werden und das Wir-Gefühl in unserer Gesellschaft wieder zum Wachsen bringen. 

Starnberger Seeleben: Aber wie gelingt das, wie trägt die Politik dazu bei?

Ute Eiling-Hütig: In der Politik brauchen wir Alltagsnähe. Manchmal stellt sich raus, dass Plan und Vorstellung in der Realität nicht so aufgehen, wie gedacht. Dann muss es angepasst werden an die Wirklichkeit, das ist ein steter Prozess. 
Man kann es nicht jedem Einzelnen Recht machen und es geht auch nicht darum, jedem nach dem Mund zu reden. Sondern darum, sich gemeinsam aufrichtig um die jeweils beste Lösung zu bemühen. Gerade darum ist es wichtig, statt Einzelinteressen die Zusammenhänge zu sehen. Warum soll ich mich nicht überzeugen lassen, dass es auch anders geht, wenn andere oder neue Argumente auftauchen? Wenn wir alle diesen gegenseitigen Respekt voreinander haben, uns sachlich auseinandersetzen und jeweils im eigenen Umfeld, in Vereinen und Ehrenamt wir-orientiert verhalten, ist die wesentliche Basis gesetzt. 

Starnberger Seeleben: Sie sind über zehn Jahre Mitglied des Landtags. Bei den zahlreichen Herausforderungen, z.B. Projekten, die Sie nicht so umsetzen konnten, wie Sie es sich gewünscht hätten, Politikverdrossenheit und Unmut von BürgerInnen, Vorgaben durch EU und Bund: sind Sie nie frustriert? 

Ute Eiling-Hütig lacht: Sicher! Aber Frustration gehört zum Job, das muss man in der Politik aushalten können. Demokratie tut manchmal weh. So ist das Leben, das ist Politik. Man muss um Erfolge kämpfen und jedes Erfolgserlebnis macht andere Momente wett. Mit dem Gesetz zur Förderung der Erwachsenenbildung haben wir 2018 zum Beispiel einen Meilenstein gesetzt. Denn die Bildung, die ein Mensch einmal erfahren hat, kann ihm nie wieder genommen werden. 

Starnberger Seeleben: Wenn man sich Plenarreden ansieht, fallen die vielen freien Plätze im Saal auf - ärgert Sie das? Liegt es am jeweiligen Thema oder an amtsmüden KollegInnen?

Ute Eiling-Hütig: Diese Frage wird sehr häufig gestellt, deswegen wurde eigens dazu auch ein Informationsflyer verfasst: „Volles Pensum - leeres Plenum?“. Kurz zusammengefasst lautet die Antwort: die leeren Plätze im Plenarsaal geben ein täuschendes Bild wieder. Im Landtag ist der Plenarsaal nur ein Raum von vielen, und in allen Räumen wird zeitgleich gearbeitet. Tatsächlich findet die inhaltliche Hauptarbeit in den Ausschüssen statt. Dort herrscht Anwesenheitspflicht. Da man nicht an zwei Plätzen gleichzeitig sein kann, bleiben im Saal auch mal Plätze leer – wir haben alle z.B. Gespräche oder Besuchergruppen oder auch Telefonate am Rande des Plenums bzw. in unseren Büros zu erledigen. 

Starnberger Seeleben: Was gibt Ihnen Kraft und Energie, so engagiert und aktiv im Austausch mit den Menschen zu bleiben? 

Ute Eiling-Hütig: Die Menschen selbst. Es ist wichtig für mich, Ansprechpartner zu haben, mit denen ich mein Tun und mich selbst überprüfen kann. Ein gutes Team. Aber vor allem natürlich meine Familie und Freunde. Und dazu immer wieder mal ein Teller hausgemachte Spaghetti Bolognese - das tut immer gut. 

Starnberger Seeleben: Landrat Stefan Frey haben wir gefragt, auf welches Landkreis-Highlight er sich diesen Sommer freut - was wäre das für Sie? 

Ute Eiling-Hütig: Als gebürtige Westfälin ist die Starnberger Seeregion für mich ein 365-Tage-Highlight. Sie ist meine Heimat geworden, die ich aus vielen Gründen schätze - ob Landschaft, Freundeskreis oder die Nähe zu München wie auch Italien - und nicht missen möchte. Das Tüpfelchen auf dem „Highlight-I“ ist für mich, einen Tag auf dem See zuzubringen und mit Muße die Seele baumeln zu lassen.