Lauterbachs Gesundheitswelt oder: Wie geht’s dem E-Rezept?

Dr. Sebastian Baehs von der Stadt-Apotheke gibt praxisnahe Einblicke in die alltägliche Realität

Im Bundestag attestierte Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach dem deutschen Gesundheitssystem den Status eines Entwicklungslandes und kündigte eine „Digitalisierungsaufholjagd“ mit vielen Neuerungen an. Das Starnberger Seeleben wollte mal wissen, wie diese in der Region anlaufen und hat Dr. Sebastian Baehs in der Stadtapotheke Starnberg besucht.

Starnberger Seeleben: Seit Anfang dieses Jahres ist das E-Rezept gängige Praxis - wie gut klappt das?

Dr. Sebastian Baehs: Das E-Rezept hat, wie alles, seine Vor- und Nachteile. Im Bereich der Folgerezepte ist es eine klare Erleichterung und Verbesserung. Insgesamt überwiegen derzeit aber noch die Nachteile. Zu vieles läuft nicht rund, weil es nicht richtig durch- bzw. nicht zu Ende gedacht wurde.  Beispielsweise sind Rezepte erst von der Karte des Patienten abrufbar, wenn sie vom Arzt durch Signierung freigegeben wurden. Die meisten Patienten gehen aber davon aus, dass ihr Rezept sofort, nachdem es in der Praxis ausgestellt wurde, abrufbereit ist. Wenn sie dann direkt zur Apotheke gehen, der Arzt zwischenzeitlich aber noch nicht dazu gekommen ist, zu signieren, existiert es auf der Karte noch nicht. In solchen wie in etlichen anderen Sonderfällen müssen wir zur Klärung mit der Praxis telefonieren.

Starnberger Seeleben: Das klingt eher nach Mehraufwand als nach Vereinfachung und Zeitersparnis.

Dr. Sebastian Baehs: Richtig. Für das derzeitige E-Rezept - das ja auf drei verschiedene Wege zu uns kommen kann, auf der elektronischen Gesundheitskarte (eGK), per App oder Papierausdruck - benötigt man im Schnitt fünf Minuten länger als bisher. Und jeder davon bringt für alle Beteiligten, Ärzte, Patienten und Apotheken, eigene Hürden mit sich. Das Mehr an Zeitaufwand müssen Ärzte und Apotheken allerdings stemmen, ohne dass damit ein Plus an Vergütung einhergeht. Es ist mehr Digitalisierungs- als Selbstzweck, denn eine Verschlankung der Prozesse. Im Gegenteil.

Starnberger Seeleben: Aber es wird doch alles teurer?

Dr. Sebastian Baehs: Stimmt, um uns herum steigen die Kosten. Apotheken sind aber mit der Situation konfrontiert, dass die Vergütung, die sie pro Rezept erhalten, seit zwanzig Jahren vom Grundsatz her auf dem gleichen Level festgefroren ist. Auch das ist einer der Gründe für das Apothekensterben, das in der Fläche in Bayern besonders ausgeprägt ist.

Starnberger Seeleben: Dabei nimmt die Bedeutung der Apotheken doch gerade jetzt zu, wo immer mehr Kliniken zentralisiert werden und in Arztpraxen immer längere Wartezeiten auf Termine an der Tagesordnung sind.

Dr. Sebastian Baehs: Ja, Apothekerinnen und Apotheker sind für Viele die ersten Ansprechpartner bei gesundheitlichen Problemen. Wir sind im Grunde das niederschwelligste fachliche Angebot vor dem Hausarzt. Darum ist Beratung immer ein zentrales Thema. Vieles kann man im Gespräch erfragen und Kunden entsprechende Empfehlungen mitgeben. Und dort, wo wir die Grenzen der Selbstmedikation erreichen, fungieren wir als Lotsen, die Kunden zum Arzt verweisen.

Starnberger Seeleben: Die Beratung hat also zugenommen?

Dr. Sebastian Baehs: Auch wenn wir mit der Bewältigung der Lieferengpässe in logistischen Aufgaben gebunden und mit dem E-Rezept zu viel Zeit mit technischen Problemen und unsauber aufgesetzten Prozessvorgaben seitens der Gematik gebunden sind, ja, der Bedarf wächst. Leider ist aber die Zeit für die Beratung ist knapper geworden, weil eben der Prozess des neuen E-Rezepts, wie bereits erwähnt, mehr Zeit verlangt. Dieser logistische Zeit-Aufwand, wenn wir z.B. mit Praxen Rücksprache halten müssen, das frisst unsere zeitliche Beratungskapazität auf.

Starnberger Seeleben: Das heißt, die bisherigen Neuerungen bringen zwar mehr Bürokratie aber nicht mehr realen Nutzen?

Dr. Sebastian Baehs: Kann man so sagen. Zu vieles ist unausgegoren und längst noch nicht praxistauglich. Ein weiteres Beispiel zum E-Rezept betrifft Patienten, die per Mail ihr Rezept einlösen wollen, weil sie krank zuhause sind und nicht in die Apotheke kommen können. Da hakt das Procedere ebenso wie beim KIM-System, mit dem Ärzte und Apotheken eigentlich in der Lage sein sollen, sich digital schnell auszutauschen. Grundsätzlich kann und sollte Digitalisierung allen Beteiligten mehr Komfort und Arbeitserleichterung bringen; davon sind wir aber noch weit entfernt.

Starnberger Seeleben: Und wie weit entfernt sind wir noch von einer normalen Versorgung mit Medikamenten, sind die Engpässe behoben und die Verfügbarkeit wieder besser?

Dr. Sebastian Baehs: Leider nicht, es verschiebt sich immer wieder, welche Stoffe gerade nicht lieferbar sind. Sieht es an einem Ende besser aus, bricht am anderen etwas weg. Das ist insbesondere schwierig, weil wir als Apotheke trotz aller möglichen Lieferengpässe eine optimale Versorgung für alle bieten wollen.  Zur sicheren Bevorratung gehen wir darum teilweise eine hohe Kapitalbindung ein, die wegen der Rabattverträge zwischen Pharmaproduzenten und Krankenkassen, an die auch wir gebunden sind, ein großes Risiko darstellen kann. Wir fühlen uns trotzdem denen verpflichtet, die Medikamente nun mal dringend brauchen.

Starnberger Seeleben: Aber immerhin dürfen Apotheken bei entsprechender Qualifikation, seit etwa zwei Jahren pharmazeutische Dienstleistungen anbieten, die mancher Patient alternativ oder ergänzend Alternative zum Arztbesuch in Anspruch nehmen kann. Werden diese Angebote genutzt?

Dr. Sebastian Baehs: Ja. Bei uns liegt zum Beispiel ein Schwerpunkt auf der Medikationsanalyse. Für Patienten und Patientinnen, die mehrere, oft auch von verschiedenen Fachärzten verordnete, Medikamente nehmen müssen, überprüfen wir diese Zusammenstellung. Gibt es Wechselwirkungen, passt das Einnahmeschema, gibt es Optimierungsmöglichkeiten, ist eine Rücksprache mit einem der behandelnden Ärzte empfehlenswert. Und da wir uns außerdem auf Heimversorgung spezialisiert haben, bieten wir auch die Verblisterung von Medikamenten an, die Patienten eine einfache Handhabung und Sicherheit bei der Einnahme bringt.

Starnberger Seeleben: Bei den zahlreichen Holprigkeiten im Gesundheitswesen:

Wie gelingt es Ihnen, Sortiment und Beratung auf dem hohen Niveau zu halten, das Ihre Apotheken zu zentralen Anlaufstellen für qualitative Gesundheitsversorgung macht?

Dr. Sebastian Baehs: Wir üben unseren Beruf mit Überzeugung aus. Das ist auch das Hauptkriterium, nach dem wir neue MitarbeiterInnen auswählen.  Damit legen wir die wichtigste Basis für ein gutes kollegiales Arbeitsklima und Beratungsqualität für Kunden. Weil wir uns alle zuverlässig aufeinander verlassen können, hat jede/r Einzelne einen guten Gestaltungsspielraum für eigenverantwortliches, eigenständiges Arbeiten und das Zusammenstellen des Sortiments.  Außerdem leben wir selbst in der Leitung das Engagement vor, dass wir uns von allen wünschen. Wir stehen selbst aktiv in Beratung und Verkauf für alle Kundenfragen zur Verfügung und immer hinter unseren Mitarbeitern, wenn mal etwas klemmt - wie z.B. jetzt bei vielen Sonderfällen mit den neuen E-Rezepten.


Dr. Sebastian Baehs und Kathrin Baehs führen zusammen mit ihren Teams 6 Apotheken im Münchner Süden (darunter die Stadt-Apotheke in Starnberg und die Rosen-Apotheke in Berg), die für ihre fachliche Kompetenz, Beratungsqualität, Kundennähe und hohe Dienstleistungsbereitschaft (siehe auch die Google-Rezensionen) einen exzellenten Ruf genießen.